Menschen im Krieg by Andreas Latzko

Menschen im Krieg by Andreas Latzko

Autor:Andreas Latzko
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-943889-543
Herausgeber: Elektrischer Verlag
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00


Der Kamerad

Ein Tagebuch

Auch mir hat der Weltkrieg einen Kameraden beschert. Einen bessern findst du nit.

Es sind nun genau vierzehn Monate her, dass ich in einem Wäldchen, hart an der Görzer Straße, seine Bekanntschaft gemacht. Für keinen Augenblick ist er seither von meiner Seite gewichen! Viele hundert Nächte haben wir schon zusammen durchwacht und immer noch marschiert er unentwegt neben mir her, wie’s im Liede heißt: in gleichem Schritt und Tritt.

Nicht dass er etwa zudringlich wäre! Im Gegenteil. Die Distanz, die ihn, als Gemeinen, von dem Offizier trennt, den er in mir verehren muss, hält er gewissenhaft inne. Stets bleibt er mir drei Schritt vom Leibe, genau nach dem Reglement. Respektvoll in eine Ecke, oder hinter eine Säule gepresst, ist es nur sein Blick, den er mir schüchtern nachzuschicken wagt.

Er will eben nur zugegen sein. Verlangt nicht mehr, als dass ich ihn in meiner Nähe dulde; – immer und überall! Wenn ich zuweilen die Augen schließe, um wieder einmal allein zu sein, für einige Minuten nur ganz allein mit mir selbst, wie früher, vor dem Kriege, dann fixiert er mich aus seiner Ecke mit einer zähen, vorwurfsvollen Beharrlichkeit so fest und durchdringend, dass sein Blick mich im Rücken brennt, sich unter meinen Augenlidern einnistet, mich so sehr mit seinem Bilde durchtränkt, dass ich mich fragend nach ihm umschaue, wenn er mich eine Weile nicht an seine Anwesenheit gemahnt.

Er hat sich in mich hineingefressen, sich häuslich in mir niedergelassen; er sitzt in mir, wie der geheimnisvolle Zauberer der Lichtspieltheater in dem schwarzen Kasten, über den Köpfen der Zuschauer an der Kurbel hockt, und wirft sein Bild, durch meine Augen, auf jede Mauer, jeden Vorhang, jede Fläche, die meine Blicke auffängt.

Aber auch wo kein Hintergrund für sein Bild sich findet, auch wenn ich aus dem Fenster krampfhaft in die Ferne starre, um ihn los zu werden für kurze Zeit, – auch dann ist er da, schwebt vor mir her, als wäre sein Bild auf die unsichtbare Stange meiner Blicke gespießt, wie eine Kirchenfahne, schwankend vor der Prozession. Gäbe es Strahlen, die durch die Schädeldecke dringen, man fände sein Bild, leicht verschwommen, – wie die Figuren alter Gobelins – in mein Gehirn eingewoben.

Ich entsinne mich einer Reise in Friedenszeiten, von München nach Wien, im Orient Express, an der herbstlichen Milde der bayerischen Seen vorbei, – durch die goldene Glut des welkenden Wiener-Waldes. Und über all’ die Herrlichkeiten, die ich, bequem gelagert, in wollüstiger Zufriedenheit eingesogen, lief unentwegt ein hässlicher, schwarzer Punkt: eine Luftblase in der Fensterscheibe meines Abteils. So huscht auch mein hartnäckiger Kriegskamerad über Wälder und Mauern, bleibt stehen, wenn ich stehen bleibe, tanzt über das Gesicht eines Vorübergehenden, über den regenfeuchten Asphalt, über alles was mein Auge streift; schiebt sich zwischen mich und die Welt, wie jene Luftblase alles vor mir zu ihrem eigenen Hintergrunde degradierte.

Die Ärzte, freilich, wissen es anders. Sie glauben nicht, dass Er in mir wohnt und mir die Treue hält. Wissenschaftlich betrachtet läge es nur an mir, Ihn nicht länger hinter mir herzuziehen, Ihm die Kameradschaft zu kündigen, so etwa, wie ich auf jener Reise das Fenster mit der lästigen Blase zornig in die Tiefe gefeuert.



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